7 Todsünden • Avaritia oder Gier
- R. W.
- 15. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Juni

Die Erde bietet genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier. - Gandhi
Ja, genau. Warum fühlt sich das neue Sofa schon am Tag nach dem Kauf irgendwie gewöhnlich an? Warum ist das Glück oft am größten kurz vor dem Besitz?
Gier ist kein Charakterfehler. Sie ist ein tief verwurzelter Mechanismus, der auf Mangel reagiert. Früher sicherte Besitz das Überleben. Heute stapeln wir Dinge, die Staub sammeln.
Unser Gehirn schüttet Dopamin beim Streben aus, nicht beim Erreichen. Deshalb fühlt sich der Kauf selten so gut an wie die Vorfreude.
Besitz hat heute weniger mit Nutzen zu tun, sondern mit Identität. Wer ein Design-Rennrad kauft, fühlt sich sportlich, auch wenn es auf dem Balkon verrostet. Die Dinge erzählen uns, wer wir angeblich sind. Doch wenn sie verschwinden, bröckelt unser Selbstbild. Das ist keine philosophische Marotte, sondern gelebte Realität.
Selbsttest
Schreiben Sie zehn Dinge auf, die Ihnen wirklich wichtig sind. Und dann fragen Sie sich: Wäre ich ohne diese Dinge noch dieselbe Person? Wenn Sie jetzt zögern, lohnt sich der Blick nach innen.
Reichtum verändert. Der Sozialpsychologe Paul Piff zeigte in einem manipulierten Monopoly-Spiel, wie Menschen mit plötzlichem Vorteil selbstbewusster und unhöflicher werden und das innerhalb von Minuten. Studien belegen: Wer mehr besitzt, teilt seltener. Nicht aus Bosheit, sondern weil Reichtum oft isoliert. Weniger Begegnung, weniger Mitgefühl.
Und dann ist da noch der Geiz. Der knauserige Verwandte der Gier. Dieser Geizhals klammert sich ans Gold wie einst ans erste große Werk aus Angst, etwas zu verlieren, das ihm Sicherheit verspricht. Während Gier alles haben will, will Geiz nichts hergeben. Beide entspringen demselben Gefühl: Mangel. Wer gelernt hat zu teilen, kann den Geiz lockern. Wer gelernt hat zu verzichten, kann die Gier bändigen. Das Genug liegt irgendwo in der Mitte.
Empathie und Dankbarkeit sind starke Gegenspieler. Wer regelmäßig etwas Dankbarkeit übt sich ihrer bewusster zu sein, ist weniger anfällig für Neid. Vielleicht liegt wahrer Luxus nicht im Neuen, sondern darin, morgens aufzuwachen und sich über das zu freuen, was bereits da ist.
Gier ist kein individuelles Versagen. Sie ist System. Unsere Wirtschaft belohnt Wachstum koste es, was es wolle. Doch irgendwann wird jeder Rausch zum Kater oder aus der goldenen Kutsche ein Kürbis, wenn die Zeit gekommen ist. Vielleicht sollten wir also anfangen, Erfolg anders zu messen: Nicht in Kontoständen, sondern in Gesundheit, Zeit und echten Beziehungen.
Was wäre, wenn Reichtum nicht bedeutet, mehr zu besitzen, sondern mehr nicht zu brauchen? Wenn Freiheit nicht aus Wahlmöglichkeiten bestünde, sondern aus mehr innerer Zufriedenheit?
Eine Übung
Schreiben Sie fünf Werte auf, die Ihnen wirklich wichtig sind. Dann eine Handlung aus den letzten sieben Tagen, die zu einem dieser Werte passt. Und dann: Wann haben Sie zuletzt etwas getan, nur um mehr zu besitzen? Hat es sich gelohnt?
Habgier ist im Strafrecht ein Mordmerkmal. Das zeigt, wie gefährlich sie werden kann. Aber im Alltag beginnt ihre Wirkung viel früher nämlich ganz leise und schleichend.
Ein letzter Gedanke
Schreiben Sie einen Brief an Ihr zukünftiges Ich. Kein Wunschzettel. Eine Erinnerung daran, was im Leben wirklich zählt. Nicht materiell. Lesen Sie ihn in einem Jahr. Vielleicht sind Sie dann nicht reicher, dafür aber freier.
Denn vielleicht beginnt Freiheit genau dort, wo wir sagen: Ich bin genug. Ich habe genug. Und das, was ich wirklich brauche, kann ich eh nicht kaufen.
Gierig nach mehr? Der nächste Artikel handelt von Invidia auch bekannt als Neid.
コメント