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7 Todsünden • Superbia

  • Autorenbild: R. W.
    R. W.
  • 8. Juni
  • 4 Min. Lesezeit

Hochmut • SuperbiaStolz

sie alle sind aus demselben Holz


Was früher als Hochmut galt, wird heute oft als gesundes Selbstbewusstsein gefeiert. Die Grenze zwischen narzisstischer Selbstverliebtheit und echtem Stolz ist dünn geworden. Vielleicht auch deshalb, weil die Bühne größer und die Zuschauer unendlich viele sind. Willkommen im Zeitalter der Selfie-Superbia.

 

Die sieben Todsünden oder alte Hüte mit neuen Köpfen

 

Man mag über mittelalterliche Moralbegriffe schmunzeln, aber in ihnen steckt psychologischer Scharfsinn. Hochmut, oder eben "Superbia", war nicht ohne Grund die erste und schwerwiegendste unter den klassischen Todsünden. Es ging nie nur um Gottesfurcht. Es ging um Selbstüberschätzung, soziale Spaltung und die Unfähigkeit zur Verbindung mit anderen. Heute hat Superbia ein neues Gewand: Sie heißt Personal Branding oder Selbstoptimierung.

 

Doch der Impuls bleibt derselbe. Das Bedürfnis, sich zu erheben. Über andere. Über das eigene frühere Ich. Über die ach-so-quälende Unsichtbarkeit.

 


Was macht uns stolz?

 

Evolutionsbiologisch hatte Stolz eine klare Funktion. Wer etwas in der Gruppe, im Rudel oder im Clan gut konnte, wurde gesehen, respektiert und gewählt. Stolz diente gleichermaßen der Selbstdarstellung und der Gruppenzugehörigkeit. Heute hat sich der Mechanismus digitalisiert. Likes, Herzchen, Followerzahlen, thumbs-up. Sie alle stimulieren das Belohnungssystem, genauer gesagt: den Nucleus accumbens. Dieselbe Hirnregion, die auch bei Zucker, Sex oder sozialem Lob aktiviert wird.

 

Das Problem ist nicht die Freude über Anerkennung. Das Problem ist der immerwährende Hunger danach, der sich kaum stillen lässt.

 


Zwei Gesichter des Stolzes

 

Die Psychologin Jessica Tracy unterscheidet zwei Formen von Stolz: authentischen und arroganten (überheblichen).


Der erste entsteht aus einer inneren Verbundenheit mit dem eigenen Tun. Man hat etwas erreicht, sich überwunden, durchgehalten. Dieser Stolz macht ruhig. Er braucht kein Publikum, denn das Publikum bin ich selbst.


Der zweite dagegen lebt vom Vergleich. Er wächst im Kontrast zu anderen, oft auf deren Kosten. Arroganz ist eine durchsichtige Haut, die sich tief im Inneren als Tarnung über eine scheue Unsicherheit legt.

 

Der Narzisst liebt nicht sich selbst. Er liebt ein Idealbild, das er für sich hält. Oder anders ausgedrückt auf „psychologisch“ ist der Hochmut eine Form narzisstischer Selbstwertstabilisierung.


"Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen." - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte (Buch)

 

 

Wenn Stolz sich aufbläht

 

Er zeigt sich selten als offenes Brüllen. Eher als subtile Überlegenheit. Er duldet keine Kritik, verwechselt Aufmerksamkeit mit Zuneigung und verweigert Verletzlichkeit. Menschen, die ständig Bestätigung suchen, sind oft innerlich ausgehöhlt. Studien zeigen: chronisches Bedürfnis nach Bewunderung korreliert mit geringer Empathiefähigkeit, instabilem Selbstwert und höherer Anfälligkeit für narzisstische Störungen.

 

Das Tragische: Je mehr Bestätigung man sucht, desto abhängiger wird man davon. Und desto leerer fühlt man sich, wenn sie ausbleibt.

 


Realitätscheck


Wie geht man mit Stolz so um, dass er einen nicht blind macht? Vielleicht beginnt es damit, sich selbst nicht ständig als Hauptfigur zu betrachten. Empathie hilft nicht als moralischer Heiligenschein, sondern als Werkzeug gegen die eigene Überhöhung. Wer sich wirklich in andere hineindenken kann, verliert das Interesse, sich über sie zu stellen. Nicht weil man besser ist, sondern weil man merkt, dass alle kämpfen. Dass jeder Mensch in seinem kleinen Universum der Held, das Wrack und das Fragezeichen zugleich ist.


 

Dazu eine Übung

 

Denken Sie an eine Person, die Sie regelmäßig nervt. Schreiben Sie fünf gute Eigenschaften dieser Person auf. Ja, das fällt Ihnen bestimmt nicht leicht. Machen Sie es bitte trotzdem. Versuchen Sie dann, sich ehrlich vorzustellen, was diese Person über Sie denkt. Nicht was sie sagen würde – was sie denkt.

 

Die Wirkung dieser Übung ist subtil. Aber sie bricht das Monopol der eigenen Perspektive. Und sie schafft Raum für Demut.

 

Was ist das eigentlich Demut?

 

Demut ist kein Kriechgang. Sie ist die Würde, sich selbst im richtigen Maß zu sehen. Wer demütig ist, unterschätzt sich nicht. Er oder sie überhöht sich nur nicht. Man erkennt an, dass Leistung oft auf vielen Schultern ruht: auf Erziehung, Bildung, Zufällen, Begegnungen und Glück.

 

Ein Mensch mit echtem Stolz weiß, dass er nicht allein oben steht. Er schaut zurück, nicht nur nach vorn. Und manchmal sogar nach unten um die Hand zu reichen.

 

Drei stille Fragen

 

Bevor Sie das nächste Mal posten, erzählen, beeindrucken wollen, stellen Sie sich diese vier Fragen:

 

  • Wäre ich auch stolz auf mich, wenn niemand zusieht?

  • Ist das, was ich tue, Ausdruck meiner Werte oder nur der Wunsch nach Applaus?

  • Was bleibt von mir, wenn das Echo verstummt?

  • Würde ich dasselbe tun, wenn niemand es je erfährt?

 


Wir brauchen Stolz. Er motiviert, trägt und schützt uns. Aber wir brauchen ihn nicht als Show. Sondern als inneren Kompass. Man muss nicht ständig glänzen um zu leuchten. Menschen mit echtem Selbstwert brauchen keine Bühne, denn sie sind Bühne für andere. In einer Welt, in der jede/r gesehen werden will, wird der leise Mensch zur Inspiration.

 

"There is a crack in everything. That's how the light gets in." - Leonard Cohen, Anthem (Lied)

 

Also: Seien Sie stolz, wenn Sie ehrlich kämpfen mussten. Seien Sie misstrauisch, wenn Sie sich besser fühlen, nur weil Sie oben stehen. Denn meistens steht man da allein mit Aussicht, aber ohne Echo.


Wann waren Sie das letzte Mal so richtig stolz auf sich selbst?

 

Nächste Woche geht es um ein verkrampftes Gefühl: Geiz auch bekannt als lat. Avaritia

 

 

 

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