7 Todsünden • Trägheit oder Acedia
- R. W.

- 20. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 21. Juli

Acedia oft zu ungenau mit Trägheit, Lethargie oder innerer Faulheit übersetzt, beschreibt sie eigentlich einen Zustand großer Erschöpfung, geistiger Abstumpfung und existentieller Entwurzelung. Es ist nicht das Nicht-Wollen, sondern das Nicht-Können einer müden und ausgeleierten Seele.
Die Psychodynamik der Acedia wirkt wie ein diffuser Schatten zwischen Depression, Burnout und Sinnkrise. Menschen, die sich in diesem Zustand befinden, berichten nicht von akutem Schmerz, sondern von einer bleiernen Gleichgültigkeit. Der Tag beginnt, hat aber keine Richtung. Die Welt verliert ihre Farben und das Leben seinen Geschmack.
Aus Sicht der analytischen Psychologie ist die Acedia eine Störung der inneren Integration. Es fehlt der Kontakt zum Selbst, zur inneren Stimme und zu den eigenen Werten. Damit sind jene verdrängten Aspekte des Selbst gemeint, die uns fremd und unheimlich erscheinen. In der Acedia scheint diese Begegnung zu verstummen, als hätte der Schatten das Licht verdunkelt.
Neuropsychologisch betrachtet, zeigt sich hier die Aktivität im präfrontalen Cortex, die für Motivation, Entscheidungsfindung und Sinnorientierung zuständig ist, reduziert. Neurotransmitter wie Dopamin, das normalerweise für Antrieb und Freude sorgt, arbeitet auf Sparflamme. Acedia ist demnach keine Frage des Charakters oder der Disziplin, sondern Zustand einer funktionalen Hemmung.
Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie, sprach vom existentiellen Vakuum. Damit ist jenes Gefühl der inneren Leere gemeint, das entsteht, wenn der Mensch seinen Sinn oder die ihm angedachte Fahrtrichtung des Lebens aus den Augen verliert. Acedia beschreibt genau diesen Zustand. Er tritt besonders häufig in Übergangsphasen auf. Beispielsweise in Midlife-Krisen, bei beruflicher Neuorientierung oder gravierenden Umbrüchen. Es ist der Moment, in dem das bisherige Lebensskript plötzlich nicht mehr lesbar ist und das neue noch nicht geschrieben wurde.
Acedia hat einen paradoxen Zug. Sie erscheint zwar ruhig und beinahe stumm, ist jedoch voller innerer Unruhe, die nach außen hin nicht erkennbar ist. In einer Welt permanenter Reizüberflutung verweist sie auf etwas Tieferes. Auf die Angst vor der Stille, vor der Leere und auch vor sich selbst. Ihre Trägheit ist keine Bequemlichkeit, sondern oft ein Schutzmechanismus vor dem, was durch Stille zutage treten könnte. Oft wird das Leid daran erkennbar, dass man unfähig ist sich selbst ohne Ablenkung in einem ruhigen Zimmer auszuhalten.
Und jetzt?
Eine Struktur zu haben wäre gut. Nicht als rigide Disziplin, sondern als Halt im inneren Nebel. Feste Aufstehzeit, kleine, sinnstiftende Aufgaben und einfache Rituale könnten dabei helfen, denn das gäbe dem Tag wieder Kontur.
Fragen wie:
Was wäre schön? Einfach nur schön, ohne zu müssen.
Was hat mir mal Freude gemacht?
Was fehlt mir?
Auch wenn die Antwort etwas dauert, ist bereits das Stellen dieser Fragen eine Bewegung in die richtige Richtung.
Moderate Bewegung
Kein Fitness-Terror
Der Körper kennt oft Wege, die dem Geist verschlossen bleiben. Ein Spaziergang im Park oder einfach in die Küche gehen und nicht zurück ins Bett.
Spiritualität entdecken
Dabei muss es nicht zwangsläufig um Religion oder Räucherstäbchen gehen. Meistens reicht es schon aus 5 Minuten den eigenen Atem zu beobachten.
Ritual statt Routine
Nicht: „Ich muss um 6 aufstehen und meditieren“. Sondern: „Ich trinke morgens einen Tee und schaue fünf Minuten aus dem Fenster.“
Therapie
Wenn nichts geht, hilft reden. Nicht, um „wieder zu funktionieren“, sondern um sich selbst wieder zu begegnen. Es darf leicht anfangen und es darf dauern.
Acedia ist ein Symptom dafür, dass etwas Wesentliches fehlt oder verloren gegangen ist. Zu viel Tun ohne Fühlen. Doch gerade darin liegt die Einladung, innezuhalten, neu und anders als gewohnt zu sehen. Die Überwindung beginnt nicht mit einem dramatischen Entschluss, sondern mit dem schlichten Impuls, trotzdem wieder aufzustehen, eine Blume genauer anzugucken, ein Lied zu hören und ein paar Takte mitzusingen.
PS: Wenn Ihnen dieser Text aus der Seele spricht, auch wenn diese gerade nicht antwortet, dann teilen Sie ihn. Vielleicht sitzt jemand anderes auch gerade da und fragt sich, warum es um einen herum, so still geworden ist.



Kommentare