Leid ist kein Schicksal.
- J. L.

- 3. Aug.
- 2 Min. Lesezeit

Für alles menschliche Leid gibt es Ursachen, und es gibt einen Weg, wie sie beendet werden können. Denn alles in der Welt ist das Ergebnis eines gewaltigen Zusammentreffens von Ursachen und Bedingungen, und wenn sich diese ändern und vergehen, verschwindet alles.
So oder so ähnlich steht es in „Die Lehre Buddhas” von Bukkyo Dendo Kyokai.
Das Geschriebene basiert auf einem zentralen Gedanken der buddhistischen Psychologie, dem Prinzip von Ursache und Bedingung. Demzufolge passiert nichts zufällig, sondern alles ist das Resultat eines gigantischen Domino-Effekts. Und ja, das betrifft auch menschliches Leid. Diese Erkenntnis hat nichts mit Esoterik zu tun, sondern ist gut durchdacht, basiert auf Beobachtungen und wurde durch viele moderne psychologische Ansätze bestätigt.
Leid ist demnach kein mystisches Schicksalsprodukt.
Wenn Sie leiden, ob emotional, psychisch oder existentiell, dann hat das Gründe. Das können biografische Ursachen sein, zum Beispiel prägende Erfahrungen in der Kindheit. Es können aber auch situative Faktoren sein, wie chronischer Stress, soziale Isolation oder hoher Leistungsdruck. Es können auch tief verankerte Denkmuster sein, wie negative Überzeugungen über sich selbst, starre Erwartungen oder automatisierte Selbstabwertungen.
Mit anderen Worten: Sie sind nicht einfach „kaputt”. Sie sind ein Mensch unter bestimmten Bedingungen. Und Bedingungen lassen sich verändern. Manchmal langsam, manchmal kaum merklich, aber immer mit Wirkung.
Wenn sich die Ursachen ändern, verändert sich auch das Ergebnis.
Das klingt vielleicht banal, ist aber radikal tröstlich. Denn das bedeutet, dass selbst tiefe, festgefahrene Zustände nicht ewig andauern müssen. Ihre Angst, Ihre Traurigkeit und Ihre Erschöpfung sind da, weil verschiedene Dinge zusammenspielen. Wenn sich eines dieser Dinge verändert, wie beispielsweise Ihre Gedanken, Ihre Gewohnheiten, Ihre Beziehungen, Ihre Ernährung oder Ihre Haltung gegenüber sich selbst, dann verändert sich häufig das gesamte Bild.
Veränderung ist nicht durch Wunschdenken, sondern durch Erkenntnis möglich.
Der Satz „Es gibt einen Weg, wie sie beendet werden können” ist kein spiritueller Schmetterlingsflug. Er ist eine praktische Einladung, sich auf die Suche zu begeben: nach den eigenen Mustern, nach den Bedingungen, die das Leid verstärken, und nach denen, die es lindern. In der Verhaltenstherapie nennt man das funktionale Analyse. In der Neurowissenschaft spricht man von Plastizität. In der Praxis bedeutet es: Ihr inneres System kann sich verändern, wenn man es versteht und gezielt beeinflusst.
Kurzum: Sie sind keine Gefangene bzw. kein Gefangener Ihres Zustands. Sie sind Teil eines Systems aus Bedingungen. Wenn sich diese ändern, ändert sich auch das, was Sie erleben.
Sie können also entweder weitermachen wie bisher oder anfangen, kleine Veränderungen in Ihrem System vorzunehmen. Keine große Revolution, kein radikaler Komplettumbau. Aber vielleicht zehn Minuten am Tag ohne Selbstverurteilung. Vielleicht einen Gedanken, den Sie nicht wie gewohnt glauben. Oder Sie stellen sich eine einfache, ehrliche Frage: Was hält mich eigentlich hier und was würde mich ein kleines Stück weiterbringen?
Denn wenn die Ursachen verschwinden und die Bedingungen verändert werden, bleibt nichts. Auch das Leid nicht.
Wenn Sie merken, dass Ihr inneres Erleben kein Zufall ist, sondern von bestimmten Ursachen und Bedingungen abhängt, dann haben Sie bereits den ersten Schritt gemacht. Der zweite Schritt wäre: Tun Sie etwas. Und wenn es nur ein kleines, mutiges, unscheinbares Etwas ist.



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