Phänomen Stress
- R. W.
- 4. Mai
- 3 Min. Lesezeit

oder das Allgemeine Anpassungssyndrom (AAK)
Woher kommt er? Was macht er mit uns – und wie können wir ihn meistern?
Die Sonne scheint. Die Luft ist erfüllt vom Duft blühender Flieder. Hunde bellen, Kinder spielen, ein Amselmann möchte eine Amseldame mit seinem lauten Gesang beeindrucken - ein perfekter Augenblick. Doch dann – brummt das Telefon. Das war’s. Vorbei ist der magische Moment. GRRRRRR!!!
Was genau geschieht mit uns, wenn sich ein Genervtsein meldet?
Stress war einmal ein Lebensretter und biologisch gesehen ist es ein geniales Notfallsystem. Vor ca. 50.000 Jahren half er uns wilden und sehr hungrigen Tieren zu entkommen. Unser Körper schaltete in den Überlebensmodus: Mehr Zucker im Blut. Schnellerer Herzschlag. Pupillen weiten sich (...damit ich dich besser sehen kann), erhöhte Aufmerksamkeit, Muskelspannung, Adrenalin, unterdrückte Verdauung. Perfekt für ein paar Minuten.
Heute hat sich der „Säbelzahntiger“, also das ehemals wilde und hungrige Tier, in einen Stau auf der Autobahn, eine WhatsApp-Nachricht aus der Familiengruppe und den Druck alles gleichzeitig schaffen zu müssen und dabei gut auszusehen, verwandelt. Unsere Körperreaktion ist diegleiche wie damals, nur rennen wir heute nicht, sondern bleiben sitzen. Der biochemische Überlebensmodus hingegen läuft hochtourig weiter und das Tag für Tag, jahrzehntelang.
Wenn der Körper auf Dauerfeuer läuft, hat das Folgen:
Herz-Kreislauf-System: Höheres Risiko für Bluthochdruck und Herzprobleme. Ein chronisch erhöhter Blutdruck verändert die Blutwände. Dort lagert sich Cholesterin ab. Hallo Herzinfarkt.
Immunsystem: Schwächung, häufigere Infekte, chronisch-schwelende Entzündungen sind ein Flächenbrand.
Gehirn: Der Hippocampus – unser Gedächtniszentrum – schrumpft messbar. Aus der Traube wird eine Rosine. – Nicht poetisch, sondern neurologisch und die Amygdala hingegen - unser Angstzentrum - wächst.
Äh, wie war nochmal Ihr Name?
Psyche: Dauerstress fördert Depressionen und Angststörungen
Diabetes: Zucker wird ständig mobilisiert, der nirgends hinwill. Folge ist Insulinresistenz.
Stress macht uns nicht nur krank – er verändert uns.
Hans Selye, der Mann mit dem Schnurbart und seine große Entdeckung
Der Stressforscher Hans Selye erkannte:
„Es ist nicht der Stress, der uns tötet, sondern unsere Reaktion darauf.“
Es sind also nicht die Herausforderungen selbst, sondern die Umstände und wie wir mit ihnen umgehen. Er definierte Stress als die unspezifische Reaktion des Organismus auf jede Anforderung, die an ihn gestellt wird.
In den von ihm durchgeführten Tierversuchen mit Ratten zeigte sich, was den Stress unerträglich macht:
Wenn wir keine Kontrolle haben.
Wenn wir nicht wissen, wann das Elend endet.
Wenn wir keinen Ausweg sehen.
Wenn wir einsam sind.
Die gute Nachricht: Widerstandskraft, modern Resilienz genannt, ist aber trainierbar. Yipeeeh!
Was hilft also wirklich? – Zwischen Buddha, Biochemie und Bauchgefühl
Meditation – das alte Wissen wiederbeleben
Atem zählen: 10 Atemzüge beobachten, Ein - Aus, Gedanken ziehen lassen. Wie eine lästige YouTubeWerbung. Die geht auch vorbei.
Mitgefühl und positive Gedanken - die so genannte Mettameditation: Denke an jemanden, den du magst und sage: „Mögest du glücklich sein.“ Studien zeigen: Cortisol, unser Stresshormon, sinkt dann um bis zu 20 %. Klingt komisch – ist aber so.
Therapeutische Techniken
Progressive Muskelentspannung: Muskeln anspannen und lösen – von den Zehen bis zur Stirn
4-7-8-Atmung: 4 Sek. durch die Nase einatmen, bis 7 anhalten, 8 durch den Mund ausatmen – beruhigt spürbar und Vorsicht - macht richtig müde
Unerwartet, aber effektiv
Kaugummikauen: Senkt Stresshormonspiegel um 18 % – laut einer japanische Studie.
Umarmungen: Setzen Oxytocin frei – unser körpereigenes, kostenfreies Anti-Stress-Mittel, denn „You can’t be sad when you’re hugging.“ – Charlie Brown
Altbekanntes: Beziehungen pflegen, die tragen und ertragen
Stress per se ist kein Feind. Er ist Rohstoff, Energie, ein Signal. Er zeigt uns: Etwas ist bedeutsam. Wenn wir lernen, diesen Impuls nicht reflexhaft zu bekämpfen, sondern uns seiner bewusst zu werden und ihn zu erkennen, gewinnen wir nicht nur innere Ruhe – wir schaffen Inseln von Kontrolle.
Vielleicht sitzen Sie wieder irgendwann mal auf einer Parkbank und es ist still. Plötzlich vibriert das Telefon. Probieren Sie es aus: Ignorieren Sie es. Sie werden sehen, die Welt wird sich weiterdrehen.
Gemälde: © Gustav Klimt - Die Umarmung
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