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Attributionstheorie • Warum wir glauben, dass wir Recht haben...

  • Autorenbild: R. W.
    R. W.
  • 20. Apr.
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 28. Mai


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Ein Freund von mir – nennen wir ihn A. – ist überzeugt, dass die U-Bahn einen Groll gegen ihn hegt. „Immer wenn ich pünktlich bin, kommt sie zu spät. Wenn ich zu spät bin, fährt sie mir vor der Nase weg. Und wenn ich nur eine Station fahren muss, bleibt sie garantiert mitten im Tunnel stehen.“


A. führt seit Jahren seinen stillen ganz persönlichen Kleinkrieg mit dem öffentlichen Nahverkehr. „Ich glaube, der Fahrplan wird von jemandem geschrieben, der mich persönlich nicht mag.“ Spätestens jetzt wäre der perfekte Moment, um skeptisch die Augenbrauen zu heben. Aber mal ehrlich: Wie oft hatten Sie schon das Gefühl, dass Bus oder Bahn sich absichtlich gegen Sie verschworen haben?


Willkommen im Kopfkino der Ursachenzuschreibungen – dem unsichtbaren Drehbuch, das wir täglich schreiben, um das Chaos da draußen irgendwie einzuordnen.



Warum wir ständig nach Ursachen suchen


Die Attributionstheorie beschäftigt sich mit einer zutiefst menschlichen Eigenschaft: Unserem fast schon manischen Bedürfnis, Gründe zu finden, wenn etwas passiert.

Oder wie es Fritz Heider, einer der Väter dieser Theorie, formulierte: „Der Mensch ist ein naiver Psychologe.“


Die Grundidee: Wir wollen die Welt verstehen


Nicht unbedingt, weil sie verständlich ist, sondern weil Ungewißheit unser Hirn in Panik versetzt. Also sucht es nach Erklärungen. Schnell. Einfach. Logisch – zumindest auf den ersten Blick. Wir basteln uns kleine Theorien, warum Dinge geschehen – und fühlen uns sicherer, wenn sie sich plausibel anfühlen. Ob sie stimmen? Zweitrangig.


Wie Attribution funktioniert – ein Mini-Crashkurs


Wenn uns etwas passiert, stellen wir uns unbewusst die Frage:

„Was war los? War das meine Schuld – oder lag’s an den Umständen?“


Und wir unterscheiden zwischen:


  • Interne Attributionen

„Ich bin zu dumm.“

„Ich war brillant.“

„Ich bin halt einfach so.“


  • Externe Attributionen

„Die Chefin war unfair.“

„Die Bahn war schuld.“

„Das Universum hat sich gegen mich verschworen.“


Klingt simpel – aber unser Gehirn macht es sich gern komplizierter, als es sein müsste. Besonders dann, wenn Emotionen im Spiel sind.


  • Der fundamentale Attributionsfehler


Ein Klassiker:


Sie fahren Auto. Jemand schneidet Sie.

Ihr Gedanke: „Was für ein rücksichtsloser !!%?§!!!!!“


Zehn Minuten später schneiden Sie jemanden – weil das Kind hinten schreit, der Blinker nicht funktioniert, Sie in Eile sind.

Ihr Gedanke: „War keine Absicht – ich hatte doch meine Gründe.“


Willkommen beim fundamentalen Attributionsfehler.


Wir erklären das Verhalten anderer mit deren Persönlichkeit – und unser eigenes - mit den Umständen.


Ein psychologisches Missverständnis, das täglich Freundschaften, Team-Meetings und Ehen erschüttert.



So, drehen wir das Ganze mal um: Wenn Sie glauben, immer selbst schuld zu sein.


Stellen Sie sich vor, alles, was schiefläuft, erklären Sie so:


„Ich bin nicht gut genug.“

„Ich kriege einfach nichts hin.“

„Ich bin toxisch – selbst meine Pflanzen sterben.


Das nennt man: intern, stabil, global. Oder, weniger charmant: hochgradig selbstzerstörerisch.


Sie halten sich nicht nur für die Ursache – sondern gleich für das Prinzip des Scheiterns. Diese Art der Ursachenzuschreibung ist nicht nur entmutigend sie kann langfristig zu depressiven Gedanken führen.


Der Psychologe Bernard Weiner beschrieb es so:

Wenn Menschen ihre Misserfolge auf unveränderbare innere Defizite zurückführen, verlieren sie Hoffnung, Motivation und oft auch den Glauben an sich selbst.


Aber die gute Nachricht:

Einen Großteil dessen, was Sie gelernt haben, können Sie wieder ver- und umlernen.


Und was hat das Ganze eigentlich mit Beziehungen zu tun? Alles.


S: „Du hast meinen Geburtstag vergessen!“

E: „Ich war überarbeitet.“

S: „Du interessierst dich nicht mehr für mich!“

E: „Ähhhh - doch – aber ich hatte Spätschicht.“

S: „Du liebst mich nicht mehr!!“


Beziehungsende in 3… 2… 1…



Attributionen sind die unsichtbaren Eskalationsverstärker in jeder Partnerschaft. Denn oft interpretieren wir das Verhalten des anderen so, wie es am meisten wehtut: Absichtlich, bedeutend, gegen mich gerichtet.


Dabei war es vielleicht nur... ein leerer Akku oder ... ein voller Terminkalender oder einfach nur menschliche Vergesslichkeit.


Zum Mitschreiben: Manchmal ist Vergessen einfach Vergessen – und kein Angriff auf das so genannte "INNEREKIND.“



Wie Sie klüger denken können – und dabei weniger unter sich selbst leiden


Jetzt wird’s praktisch: Reframing – eine mentale Superkraft mit erstaunlicher Wirkung.


Beim nächsten Mal, wenn Sie glauben, jemand habe etwas gegen Sie getan – oder Sie wieder mal an allem schuld seien – stellen Sie sich drei einfache Fragen:


Die drei Reframing-Fragen:


1. Welche anderen Erklärungen gäbe es noch?

(Vielleicht war sie abgelenkt. Vielleicht hat er’s vergessen. Vielleicht hatte das Leben einfach gerade Vorrang.)


2.Hätte ich dieselben Gedanken, wenn ich an der Stelle des anderen wäre?


3. Was würde meine Großmutter dazu sagen?

(Falls sie nicht mehr lebt, wählen Sie eine andere weise Instanz mit leicht ironisch-verzeihendem Blick.)


Fazit – Sie dürfen denken. Aber auch anders denken.


Attributionen sind keine Realität. Sie sind Deutungen – Geschichten, die wir uns erzählen, um mit der Welt klarzukommen. Und wie jede gute Geschichte können auch diese umgeschrieben werden.


Wenn Sie sich selbst weniger streng erklären und anderen mit etwas mehr Nachsicht begegnen, dann lebt es sich leichter.


„We tell ourselves stories in order to live." (Joan Didion)



Noch etwas zum Schluß – eine kleine Übung


1. Notieren Sie eine aktuelle Situation, in der Sie sich geärgert haben.

2. Schreiben Sie auf, was Sie glauben, warum das passiert ist (Ihre Ursachenzuschreibung).

3. Finden Sie drei alternative Erklärungen – kreativ, neutral, großzügig.

4. Lesen Sie sie laut. Falls Sie jetzt schmunzeln: Herzlichen Glückwunsch


Sie haben wahrscheinlich gerade eine Denkgewohnheit entlarvt.


Comic: © PNP

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