Tratsch • Klatsch • Gossip
- R. W.
- 1. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 7 Tagen

„Rumour, verglichen mit der kein anderes Übel so geschwind…“
– Vergil, Aeneis IV, 173 ff.
Vergils geflügeltes Monster wächst, "je weiter sie fliegt". Die Göttin Fama war wohl die Ur-Influencerin. Heute heißen ihre Flügel Push-Notifications. Die Parallele ist so eindeutig, dass man witzeln darf: Würde Fama heute leben, hätte sie bestimmt ein Verifizierungshäkchen bei X.
Ob auf der antiken Agora, dem mittelalterlichen Marktplatz oder im heutigen WhatsApp-Chat – Klatsch begleitet die Menschheit seit jeher. Schon das altenglische Wort „godsibb“, ursprünglich ein Begriff für Taufpaten, verweist darauf, dass Klatsch keineswegs nur negativ ist, sondern tief in unserer sozialen Bindungsarbeit verwurzelt ist.
Wahrscheinlich haben Sie es heute bereits getan. Über jemanden gesprochen, der gerade nicht anwesend war. Vielleicht in in einer WhatsApp-Gruppe oder beim Mittagessen mit Freunden. Menschen tratschen und das aus gutem Grund. In der Psychologie gilt Tratsch längst nicht mehr nur als schlechtes Benehmen, sondern als wichtiger Bestandteil unseres sozialen Lebens. Er hilft uns, uns in Gruppen zurechtzufinden, Beziehungen zu knüpfen und soziale Informationen zu verarbeiten.
Was beim Tratschen im Gehirn passiert
Wenn wir über andere Menschen sprechen oder spannende Neuigkeiten hören, wird unser Belohnungssystem im Gehirn aktiviert. Das fühlt sich gut an, ähnlich wie beim Essen von Schokolade. Unser Gehirn liebt Geschichten als soziale Informationen.
Tratsch als Regelwerk der Gesellschaft
Wenn wir über andere sprechen, sagen wir auch etwas darüber aus, welche Werte in unserer Gruppe gelten. Aussagen wie "Der kommt immer zu spät" oder "Sie hilft nie mit" zeigen, was erwartet wird und was nicht. Wer das häufig hört, passt vielleicht sogar das eigene Verhalten an. Tratsch ist also auch ein Werkzeug zur sozialen Orientierung.
Tratschen hat eine Geschichte: Vom Affen zu Gruppenchat
Der Evolutionsforscher Robin Dunbar hat herausgefunden, dass Sprache ursprünglich nicht zur Wissensvermittlung gedacht war, sondern zur sozialen Verbindung. In großen Gruppen musste man irgendwie den Überblick behalten: Wer ist vertrauenswürdig? Wer nicht? Während sich Affen gegenseitig das Fell pflegen, um Bindungen zu stärken, nutzen wir Menschen Worte. Tratsch ist also so etwas wie modernes soziales Fellkraulen.
Schneller, lauter, digitaler: Tratsch im Internet
Heute verbreiten sich Gerüchte rasend schnell, vor allem über Plattformen wie TikTok, Instagram oder WhatsApp. Eine kleine Geschichte kann sich in wenigen Minuten verbreiten und tausende Menschen erreichen. Dabei spielt es oft keine Rolle, ob sie wahr ist. Der Philosoph Byung-Chul Han spricht in diesem Zusammenhang von einer "Transparenzgesellschaft", in der alles öffentlich und sofort bewertet wird. Deshalb ist ein bewusster Umgang mit Tratsch wichtiger denn je.
Tratsch ist auch Macht
Gossip ist also das informelle und oft spekulative Teilen von Informationen über andere und ist eng mit Macht verknüpft. Wer über den "richtigen Gossip zur richtigen Zeit“ verfügt, hat die Möglichkeit, das Verhalten und die Entscheidungen anderer zu beeinflussen. Gossip kann als subtile Form der Kontrolle bestehende Machtstrukturen ins Wanken bringen oder festigen, je nachdem, wie und von wem er eingesetzt wird.
Wer über Informationen verfügt, hat einen Vorteil. Tratsch kann dazu genutzt werden, um Zugehörigkeit zu schaffen oder jemanden auszuschließen. In Gruppen kann so Macht ausgeübt werden. Der Autor Robert Greene schreibt in seinem Buch "Die 48 Gesetze der Macht": "Achten Sie auf Ihren Ruf und lassen Sie ihn nicht vom Tratsch zerstören." Wer ständig negativ über andere spricht, riskiert, selbst das Vertrauen der Gruppe zu verlieren.
In sozialen Gruppen dient Gossip mehreren Zwecken, die alle mit Macht zu tun haben.
Kontrolle und Einfluss: Durch das gemeinsame Bewerten von Verhalten wird festgelegt, was in der Gruppe akzeptiert ist. Wer Gossip verbreitet, kann so Normen setzen und andere steuern.
Zugehörigkeit und Ausschluss: Gossip schafft Zugehörigkeit unter denen, die „eingeweiht“ sind, und grenzt andere aus. Das stärkt die Machtposition derjenigen, die Informationen besitzen oder weitergeben.
Gefahrenabwehr: Wer klatscht, steht zumindest kurzfristig nicht selbst im Fokus und kann sich sicherer fühlen.
Besser tratschen = klüger kommunizieren
Erst nachdenken, dann reden: Ist das, was ich weitergebe, wirklich wahr? Oder nur ein Gerücht?
Positiv statt negativ: "Hast du gesehen, wie schnell sie geholfen hat?" kann genauso verbinden wie Kritik, nur eben konstruktiver.
Motiv hinterfragen: Warum möchte ich das erzählen? Suche ich Aufmerksamkeit, Bestätigung oder einfach ein Gesprächsthema?
Fair bleiben: Reden Sie über andere so, wie Sie möchten, dass auch über Sie gesprochen wird.
Klatsch ist einfach menschlich, er verbindet uns und ist tief in unserer sozialen DNA verankert. Wenn wir ihn bewusster einsetzen, können wir seine positiven Seiten genießen, ohne Schaden anzurichten.
Und bedenken Sie: Wenn andere über Sie sprechen, sind Sie offensichtlich interessant genug.
Was denken Sie so über Klatsch?
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